OFFENER BRIEF VOM 13.04.2020

An Frau Bundesministerin Karliczek und die Abgeordneten des Bundestages
Sehr geehrte Frau Ministerin, sehr geehrte Abgeordnete
bereits Ende März haben wir die Entscheidungsträger*innen in Rheinland-Pfalz in einem
offenen Brief auf die Probleme aufmerksam gemacht, die Studierende aufgrund der
Corona-Krise treffen. In den letzten Tagen haben wir aufmerksam verfolgt, welche
Maßnahmen in unserem Bundesland, aber auch in Deutschland getroffen werden. Wir
sind zunächst froh, dass die Politik die Studierenden nicht vergessen und den
Handlungsbedarf erkannt hat. Dennoch möchten wir auf weitere Aspekte im Rahmen der
Unterstützung für Studierende verweisen.

1. Studierende brauchen jetzt klare Zusagen über den weiteren Bezug von BAföG.
Aufgrund von ausfallenden Prüfungen, den Veränderungen im
Veranstaltungsprogramm der Hochschulen und der psychischen Folgen, welche die
Pandemie hervorruft, muss damit gerechnet werden, dass viele Studierenden ihr
Studium nicht wie geplant vorantreiben können. Diesen Menschen muss jetzt die
Sicherheit gegeben werden, dass das kommende Semester nicht auf den Regelerhalt
von BAföG angerechnet wird. Studierenden, die auch in diesem Semester aufgrund
der Pandemie Prüfungsleistungen nicht erbringen konnten, muss diese Zusage auch
für das zurückliegende Semester gemacht werden.
2. Die Anrechnung von Nebenverdiensten auf BAföG nur bei systemrelevanten Berufen
auszunehmen ist zu kurz gedacht. Es mag sinnvoll sein, Anreize für Studierende zu
schaffen, in systemrelevanten Berufen zu arbeiten. Allerdings haben diese
Studierenden zumindest ihren Job nicht verloren. In akuter finanzieller Not sind jetzt
Studierende, die ihren Job beispielsweise in der Gastronomie verloren haben. Die
wenigsten davon werden ohne Weiteres einen neuen Job finden, geschweige denn
einen, der als systemrelevant nun privilegiert behandelt wird. Die Betonung dieses
Punktes hinterlässt einen faden Beigeschmack, weil es wirkt, als würden Studierende
nicht als Betroffene wahrgenommen.
3. Finanzielle Notlagen Studierender über BAföG abzufangen ist ein wichtiger Ansatz.
Das allein wird aber nicht ausreichen. Denn das BAföG ist völlig unzureichend
ausgestaltet: Für viele ist der jetzt verloren gegangene Nebenjob die wichtigste
Finanzierungsquelle des Studiums. Studierende, die aber kein BAföG erhalten und
jetzt durch Jobverlust ohne Einkommen dastehen, müssen JETZT finanziell
unterstützt werden. Den meisten ist dabei mit Krediten nicht geholfen, ein Antrag
beim BAföG-Amt, dessen Bewilligung mitunter Wochen oder Monate dauert, reicht
nicht aus. Auch der jetzige Vorschlag auf dem Bundesbildungsministerium sorgt nur
dafür, dass sich Studierende weiter verschulden und ist damit keine konsequente
Lösung. Nötig sind Soforthilfen analog zu denen, die Unternehmen zur Verfügung
gestellt wurden. Hierbei möchten wir ausdrücklich auf die Initiative Soforthilfe für
Studierende aufmerksam machen.
(https://www.openpetition.de/petition/online/soforthilfe-fuerstudierende-jetzt)
Aus der SPD-Fraktion haben wir zu unserer
Freude vernommen, dass ein solcher Härtefond in Erwägung gezogen wird. Wir
hoffen sehr, dass diese Forderung umgesetzt und auch mit den notwendigen Mitteln
versehen wird.
4. Die Lösung finanzieller Probleme Studierender über BAföG bringt Menschen mit
studienbedingtem Aufenthaltstitel nichts. Häufig fehlt schon die
Antragsberechtigung, zudem muss für die Verlängerung des Aufenthaltstitels ein
hoher Betrag auf einem Sperrkonto nachgewiesen werden. Diesen Betrag jetzt
aufzubringen ist besonders schwierig, da diese Studierenden erfahrungsgemäß
häufig auf einen Nebenjob angewiesen sind, der vielen jetzt weggebrochen ist.
Zudem stellt sich die Frage, wie mit ausländischen Studierenden umgegangen wird,
die im Moment nicht nach Deutschland einreisen können, hier aber laufende Kosten
haben. Wenn Deutschland dem Selbstverständnis als internationaler
Wissenschaftsstandort gerecht werden will, muss die Politik Antworten für die
Betroffenen finden.
5. Wünschenswert ist außerdem eine bundesweite Regelung zum Umgang mit dem
kommenden Sommersemester. Natürlich ist es Sache der Länder, hier
Entscheidungen zu treffen. Bundesweit müssen aber gleiche Standards für die
Bewertung des kommenden Semesters gelten. Entsteht ein Flickenteppich, wird das
den Fortgang des Studiums (bspw. beim Wechsel der Hochschule) erheblich
erschweren. Dabei sollte man sich dringend daran orientieren, dass Lehrende und
Studierende sehr plötzlich vor die Herausforderung gestellt werden, den
universitären Alltag digital gestalten zu müssen. Den Lehrenden fehlt es dabei zum
Teil an notwendigem technischen Kenntnissen, Studierende haben nicht immer
Laptop oder Tablets, die in der digitalen Lehre notwendig sind. Daher möchten wir
eindringlich auf die Petition zum „Nicht-Semester“ verweisen
(https://www.nichtsemester.de/cbxpetition/offener-brief/). Diese fordert, dass
Veranstaltungen und Prüfungen soweit wie möglich angeboten werden, die
Nichtteilnahme für Studierende aber keinerlei negative Konsequenzen haben darf.
6. In einigen Bundesländern werden aus verschiedenen Gründen Studiengebühren
erhoben. Abgesehen davon, dass Bildung ohnehin kostenlos sein sollte, müssen
diese Gebühren für das kommende Semester ausgesetzt werden, da schon die
Leistungen der Hochschulen nicht im üblichen Umfang angeboten werden. Hier
muss der Bund mit den Ländern aushandeln, wie die ausfallenden Zahlungen
kompensiert werden können.
Diese Forderungen formulieren wir nicht, um einen Vorwurf zu erheben.
Die CoronaKrise kostet Zeit und Kraft aller Entscheidungsträger*innen, vorgefertigte Lösungen für
auftretende Probleme liegen nicht einfach in der Schublade. Auch wir können in diesem
offenen Brief nur das ansprechen, was in unseren Augen am ehesten einer sofortigen
Lösung bedarf. Weitere wichtige Punkte können Sie dem Aktionsbündnis
Solidarsemester (https://solidarsemester.de/) entnehmen. Uns ist es wichtig, dass beim
Umgang mit der Corona-Krise auch Studierende angemessen berücksichtigt werden.
Sehr geehrte Abgeordnete, sehr geehrte Frau Ministerin: Wir sind neben anderen jungen
Menschen die Zukunft dieses Landes. Nehmen sie uns bitte entsprechend ernst.
Hier gehts zum PDF: BMBF_final